1. Narren-News
  2. Bonn

Interview mit Günter Schenk: „Karneval muss nicht lustig sein“

Interview mit Günter Schenk : „Karneval muss nicht lustig sein“

Günter Schenk gilt als einer der besten Kenner des europäischen Karnevals. Sein Buch „Karneval zwischen Tradition und Kommerz“ fand in der Brauchtumsszene viel Beachtung. Die GA-Redaktion lädt ihn für Dienstag zum ersten „Bönnschen Treff“ ein (19.30 Uhr, Haus des Karnevals).

Hand aufs Herz – feiern Sie selbst noch Karneval?

Günter Schenk: Natürlich, als Kulturpreisträger der Deutschen Fastnacht bin ich ja immer wieder zu Sitzungen und Umzügen eingeladen. Auch in Europa mache ich aus journalistischer Neugier bei den Narren Station – von Portugal bis Polen, von Malta bis Großbritannien. Am liebsten bin ich aber unter Freunden, weil Narrsein vor allem Menschsein heißt. Das kann im kroatischen Bergdorf genauso sein wie beim Hausball in Oberkassel. Große Bühnenprogramme brauche ich nicht, dafür persönliches Erleben, das den Karneval ja eigentlich ausmacht.

Sie sorgen sich um die Zukunft des Brauchtums – warum?

Schenk: Weil vor allem die Jugend den Karneval zunehmend nur noch als Party begreift, als Späßchen unter vielen. Das größte deutsche Volksfest aber ist ein Teil unserer Identität, vor allem hier am Rhein. Einmal im Jahr führt es uns zudem vor Augen, dass wir Menschen endlich sind. „Löblich ist ein tolles Streben, wenn es kurz ist und mit Sinn“, schrieb Goethe, ein viel gereister Zeitgenosse, 1825 in einem Gedicht zum Kölner Karneval. Das gilt auch heute noch: Karneval ist nicht einzigartig wie ein großes Bühnenspektakel, sondern einmalig. Kostüme oder Masken sind kein Selbstzweck wie bei denen, die kostümiert in die Bundesligastadien oder auf die mehr und mehr in Mode kommenden Oktoberfeste pilgern. Das Kostüm ist Teil des närrischen Rollenspiels und dient der Kontaktaufnahme. Frauen wissen das übrigens besser als Männer, wie die Fastnachtsforschung herausgefunden hat. Bei denen steht Schminken und Kostümieren zu Karneval ganz vorne auf der närrischen To-Do-Liste, gemeinsames Trinken ist der Favorit bei den Männern.

Sie plädieren doch nicht für einen Karneval ohne Alkohol?

Schenk: Ganz im Gegenteil! In Maßen belebt er jede närrische Feier. Kulturgeschichtlich gehört auch der Rausch zum Fest. Im jüdischen Karneval zum Beispiel, dem Purimfest, ist der Rausch sogar religiös vorgeschrieben, einmal im Jahr sollen sich die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen. Der Rausch aber, und das müssen wir vor allem den jungen Menschen klarmachen, steht immer am Ende des Festes, markiert sein natürliches Ende. Im Suff kann ich keinen Karneval feiern. Zudem tragen volltrunkene Karnevalisten zum schlechten Bild des Festes bei, das viele, wie etwa Familien mit Kindern vom Feiern abhält.

Zur Person

Wie viel Kommerz verträgt das Brauchtum?

Schenk: Ich weiß es nicht. Was der Karneval auf Dauer jedenfalls nicht verträgt, ist, wenn er zum Event wird, zum beliebigen, von ausschließlich kommerziellen Interessen bestimmten Ereignis. Jeder kulturell engagierte Mensch sollte deshalb beherzigen, dass als Veranstalter des Festes eigentlich nur Karnevalsvereine infrage kommen. Alle anderen Organisatoren, sieht man von gemeinnützigen oder caritativen einmal ab, nutzen den Karneval nur, um Geld zu verdienen. Fastelovend – wie man hier im Rheinland sagt – interessiert die nicht. Die ersten Narrenverbände haben das verinnerlicht und ihre Mitglieder in ihren Ethik-Chartas ermahnt, Veranstaltungen ausschließlich kommerzieller Veranstalter zu meiden.

Damit sind wir beim „Karneval im Sommer“. Ist der Trend zu stoppen?

Schenk: Wenn sich alle Menschen bewusst wären, dass der Karneval seinen angestammten Platz an der Schwelle zur österlichen Fastenzeit hat, wäre das längst kein Thema mehr. Wenn die von den sozialen Medien befeuerte kulturelle Demenz unserer Gesellschaft aber weiter fortschreitet, wird eine partyhungrige Spezies auch im Sommer maskiert zu Veranstaltungen pilgern, die Brauereien oder andere Veranstalter aus der Taufe heben werden. Ein echter Narr geht da niemals hin! Der käme auch nie auf die Idee, Weihnachten im Mai oder Ostern im Oktober zu feiern.

Obwohl die Beueler Weiberfastnacht ein Alleinstellungsmerkmal hat, sind viele Weibersitzungen aus den Terminkalendern verschwunden. Die Säle blieben leer. Was raten Sie den Damenkomitees?

Schenk: Weitermachen! Auch in Bonn ist der Karneval eine Frage der Güte, nicht der Masse. Das Fest der Narren braucht keine großen Säle, sondern menschliche Nähe. Ein Hausball oder der gemeinsame Zug durch die Kneipen hat mehr närrische Qualität als eine Prunk- und Protzveranstaltung, in dem der schöne Schein triumphiert. In meiner Heimatstadt Mainz erleben wir dieses Jahr ein Revival alter närrischer Formate wie der Nachthemdensitzung oder Damensitzungen im Dämmerlicht. Da kommen nicht Tausende, sondern allenfalls ein paar Hundert Narren zusammen. Das sind genau betrachtet große Familienfeste, in denen Spontaneität die Perfektion ersetzt. Zu meinen schönsten Erlebnissen zählt eine Veranstaltung, in der der Sitzungspräsident während eines Vortrags eingeschlafen war und zwei Redner fast den gleichen Vortrag hielten, den sie aus dem Internet abgekupfert hatten. Das ist närrische Realität, die näher an uns Menschen ist als eine Veranstaltung, in der ein Profiredner seinen Vortrag zum 30. Mal abspult.

Das soll zum Lachen sein?

Schenk: Ja, mehr jedenfalls als irgendwelche Witzchen. Die Menschen, hat die Lachforschung eindrucksvoll bewiesen, lachen vor allem gern über sich selbst oder ihre Mitmenschen. Situationskomik ist es, die uns bewegt: Das Ballett, das außer Takt gerät, die Prinzessin, die statt im Festkleid im Fetzenkostüm erscheint, mit dem Besen in der Hand statt prunkvollem Zepter. Karneval heißt doch, die Welt auf den Kopf zu stellen. Daran sollten wir wieder mehr denken. Auch für einen Abend oder ein paar Stunden mal die Rollen zwischen Mann und Frau tauschen, aus der eigenen Haut fahren. Das ist Psychohygiene, spart viele Tausend Stunden Therapie!

Aber das ist doch nicht lustig?

Schenk: Wo steht denn geschrieben, dass Karneval lustig sein muss. Ich habe viele erlebt, die schon vor Aschermittwoch zu Tränen gerührt waren, weil sie der närrische Blues gepackt hat. Lust ist im Karneval wichtig, nicht Lustigsein. Wir sollten darüber nachdenken, warum wir von Jahr zu Jahr weniger lachen, obwohl die Armada professioneller Spaßmacher immer größer wird.

Wie gelingt die Integration der Flüchtlinge in den Karneval?

Schenk: Wenn Sie einem Menschen aus anderen Kulturkreisen unseren Karneval näherbringen wollen, laden sie ihn einfach ein, nehmen sie ihn auf einen Ball oder Umzug mit. Lassen sie ihn spüren, dass sie ihn mögen. Hauen sie ihm aber keine Flyer oder Schriften um die Ohren. Er muss mit dem Herzen lernen, mit Verstand allein lässt sich Karneval nicht vermitteln.

Karneval ist also Lebensgefühl ?

Schenk: Karneval erinnert uns einmal im Jahr, dass alles im Leben Anfang und Ende hat. Dass aus Kindern Männer und Frauen werden, aus Jungfrauen Mütter, aus Vätern Opas. Wenn sie in Bonn in der Nacht zum Aschermittwoch ihre Nubbel verbrennen, verschwindet symbolisch das Alte und macht Platz für Neues. Oder etwas philosophischer: Der Tod wird mit dem Menschen geboren. Das ist die Botschaft, die hinter allem Mummenschanz steckt. Eine Botschaft, mit der alle Menschen leben können – nicht nur Christen.