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Wolfgang Oelsner: "Karneval ist eine Droge und Medizin"

Wolfgang Oelsner: "Karneval ist eine Droge und Medizin"

Wolfgang Oelsner ist nicht nur Pädagoge und Jugendtherapeut, sondern auch Karnevalsphilosoph und Buchautor. Zur Sessionseröffnung am 11.11. sprach mit ihm Susanne Haase-Mühlbauer.

Bonn. Er weiß, warum die Kölner "Alaaf" rufen, warum es Engel und Teufel geben muss, und warum es soviel Spaß macht, sich hinter der Maske eines völlig anderen zu verbergen. Wolfgang Oelsner ist nicht nur Pädagoge und Jugendtherapeut, sondern auch Karnevalsphilosoph und Buchautor. Zur Sessionseröffnung am 11.11. sprach mit ihm Susanne Haase-Mühlbauer.

General-Anzeiger: In Ihrem Buch "Fest der Sehnsüchte" beschäftigen Sie sich mit der tiefen Bedeutung des Karnevals. Was wäre das Rheinland ohne den Karneval?

Wolfgang Oelsner: Es wäre arm, beraubt um eine Ausdrucksmöglichkeit, die es Erwachsenen erlaubt, legitim zu spielen. Menschen, die keinen Karneval pflegen, finden vergleichbare Maskenspiele. Zum Beispiel einen Mittelaltermarkt, den Sie ja in Siegburg auch in der Vorweihnachtszeit haben.

GA: Warum sind die Gegensatzpaare Priester und Teufel oder Nonnen und Hexen im Karneval so beliebt?

Oelsner: Unser Leben ist von Widersprüchen geprägt. Geburt und Tod sind die stärksten Gegenpole. Und deshalb leben wir diese Gegenpole auch im Karneval. Wir alle haben Teuflisches und Engelhaftes in uns und dürfen es im Karneval ausleben.

GA: Wir Rheinländer haben also den Karneval als Ventil, um unsere Sehnsüchte auszuleben. Welche Sehnsucht kann man im Karneval eigentlich nicht ausleben?

Oelsner: Er gehört nicht zu den letzten Dingen und kann nicht Religion ersetzen. Der Karneval bleibt letztendlich im Spiel stehen, aber er öffnet Türen und hält sich erstaunlicherweise an den Kirchenkalender, wenn der Aschermittwoch vorbei ist.

GA: Welche Bedeutung hat die rote Nase? Bringt sie den Humor minimalistisch auf den Punkt?

Oelsner: Ja genau. Die rote Nase gibt das Zeichen: "Ihr könnt mich in einer anderen Rolle ansprechen." Selbst eine Majestät lädt das bürgerliche Gegenüber zum Schunkeln ein, wenn sie eine Pappnase trägt.

GA: Was verrät die Kostümauswahl über die Seele?

Oelsner: Da sollten wir vorsichtig sein. Oft ist es der Zufall, das Wetter oder die Auswahl in der Kleiderkiste, die das Kostüm bestimmt. Gleichwohl bieten die Kostüme Möglichkeiten, zu spielen. Mal eine neckische Krankenschwester zu sein oder ein starkes Musketier.

GA: Ist Karneval eine Droge?

Oelsner: Goethe hat den Karneval als Antidepressivum beschrieben. Er ist in der Tat eine Droge und Medizin. Allerdings entscheidet die Dosierung, ob er segensreich ist oder destruktiv.

Ob aus Nähe eine Schlägerei wird, aus einem Schwips ein Besäufnis oder Erotik in den Ehebruch führt. Dazu brauchen wir Grenzen. Inhaltliche, wie das Glasverbot im Kölner Karneval, oder zeitliche, wie die Terminierung bis zum Aschermittwoch.

GA: Liegt der Elfte im Elften nur wegen der närrischen Zahl im Herbst?

Oelsner: Es gibt viele Begründungen, wie die Gleichheit der Zahlen oder eine Rückführung bis zur Französischen Revolution. Mir erscheint eine am schlüssigsten. Mit dem Martinstag endete das landwirtschaftliche Jahr.

Die Ernte wurde eingefahren, es wurde gelöhnt und auch gefeiert. Die kleine Sessionseröffnung am 11.11. öffnet eine Türe zum Karneval, obwohl danach das Adventsfasten begann und dann erst nach Weihnachten die große Session beginnt.

GA: Karneval ist als Vorgeschmack auf den ersehnten Himmel bezeichnet worden. Was würden Sie in den Himmel mitnehmen?

Oelsner: Die Nähe zu den anderen Menschen. Mit dem Ablegen der Alltagsmaske verwirklichen wir eine Utopie. Damit ist es wie mit den zehn Geboten. Wir haben sie und überschreiten sie doch täglich. Sie nicht zu haben, wäre Wildwuchs.

GA: Und wie sieht Ihr Kostüm aus?

Oelsner: Meine Frau und ich machen das vom Schulmotto oder vom Wetter abhängig und so waren wir in vielen Kostümen im Straßenkarneval und auch in Abendgarderobe unterwegs. Ich war Teufel, Clown und Tünnes.