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Tipps für die fünfte Jahreszeit: Kanonen, die mit Kartoffeln schießen, sind typisch Karneval

Tipps für die fünfte Jahreszeit : Kanonen, die mit Kartoffeln schießen, sind typisch Karneval

In der fünften Jahreszeit ticken in Bonn die Uhren anders. Neueinsteiger erfahren hier, was sie unbedingt ausprobieren sollten und was sie besser lassen.

Es ist eine Mischung aus grenzenloser Vorfreude und Torschlusspanik, die die Leute am 11.11. auf die Straße treibt. Pünktlich um 11.11 Uhr beginnt auf dem Bonner Marktplatz die fünfte Jahreszeit – Karneval, Fastelovend. Nach der Pandemiepause sind die Orden ein bisschen angelaufen, die Gewohnheiten unterbrochen. Zeit für Wiedereinsteiger, sich für die Session fit zu machen, und Zeit für Neueinsteiger, sich mit den bönnschen Besonderheiten vertraut zu machen.

Die Gelegenheit für eine Schnupper-Session war nie besser als nach der zurückliegenden Zwangspause. Es gibt sogar noch Karten für die großen Sitzungen und Kabarettprogramme, für die man früher vor den Vorverkaufstellen übernachten musste. Bis Aschermittwoch ist Zeit, das Brauchtum zu erkunden, bevor es mit dem Aschenkreuz in die Fastezeit geht.

Sturm auf das Sterntor statt aufs Rathaus

Selbst für erfahrene Karnevalisten gibt es noch Neues zu entdecken, wie die Lustigen Bucheckern aus Endenich kürzlich bei einer Karnevalsführung mit Elisabeth Schleier erlebten. So sollen die Bonner Stadtsoldaten einmal das Sterntor gestürmt haben statt das Alte Rathaus. Bis zum Abriss 1898 gehörte die Torburg zur Stadtbefestigung, das heutige Sterntor ist ein Nachbau an anderer Stelle. „Der Bericht sagt, die Stadtsoldaten hätten Kanonen dabei gehabt, gefüllt mit gekochten, ungeschälten Kartoffeln. Nach dem Angriff hätten sich Vögel und Katzen über die Reste hergemacht“, erzählt Stadtführerin Schleier. So kann man auch mit Kanonen auf Spatzen schießen.

Jecke bei der Sessionseröffnung am 11.11. auf dem Bonner Marktplatz.
Jecke bei der Sessionseröffnung am 11.11. auf dem Bonner Marktplatz. Foto: Benjamin Westhoff

Heutzutage stellen sich ganz andere Fragen, zum Beispiel: Darf man seit Corona noch bützen? „Klar“, sagt der designierte Bonner Prinz Christoph II. (Wagner) und zeigt gleich, wie es geht: Jeweils ein Kuss in die Luft rechts und links, die Wangen berühren sich kaum. Als der spätere Literaturnobelpreisträger Luigi Pirandello bis 1892 in Bonn studierte, ging es offenbar etwas handfester zu. Pirandello schrieb an seine Eltern in Italien: „Ich bin außerstande, einen Karnevalsball in Deutschland zu beschreiben und was dabei aus den Frauen wird. Alles bis zum Kuss einschließlich ist erlaubt.“

Eine Flasche Spiritus als Stellvertreter

Neben seiner geselligen Seite hat der Karneval auch eine politische, respektlose Seite, und zwar nicht nur als Parodie auf die preußische Disziplin, sondern auch in aktuellen Büttenreden und Mottowagen. Elisabeth Schleier hat recherchiert, dass schon Ende des 19. Jahrhunderts die Spitzen aus Politik und Gesellschaft zu Sitzungen eingeladen waren. „Blieb der Platz von Landrat Max von Sandt und Oberbürgermeister Wilhelm Spiritus leer, stellte man ein Sandsäckchen und eine Flasche Spiritus auf die Stühle und dekorierte sie mit Karnevalsmützen“, berichtet Schleier. Was wohl heute die Platzhalter wären? Schuhe und eine dornige Pflanze? Oder ein Radwegschild mit Narrenkappe?

Wer es kurzfristig nicht zum Karnevalsauftakt schafft, sollte sich eine kleine, handgemachte Sitzung im Stadtviertel und eine große Sitzung aus dem Karnevalskalender raussuchen. Die Hochphase des Straßenkarnevals beginnt Weiberfastnacht in Beuel auf der schääl Sick. Einmal im Jahr ist die falsche Rheinseite goldrichtig: Der Beueler Karnevalszug mit Rathauserstürmung ist ein absolutes Muss.

An Weiberfastnacht übernehmen die Frauen das Regiment. Wäscherprinzessin und LiKüRa-Prinzessin (benannt nach den Ortsteilen Limperich, Küdinghoven und Ramersdorf) kommen ganz ohne Prinzgemahl an ihrer Seite aus. Sonst sind Singles unter den Tollitäten, wie die jecken Herrscher auch genannt werden, selten. In Bad Godesberg regieren Prinz und Godesia, in Bonn Prinz und Bonna.

Man muss nicht alles wissen. Wer im Karneval einige Regeln beachtet, fliegt als Neueinsteiger nicht auf:

Bloß nicht:

  • Laut „Helau“ rufen – hier heißt es „Alaaf“. Sollte einem doch ein „Helau“ herausrutschen, bietet sich als Ausrede an, aus Swisttal-Dünstekoven zu kommen, der einzigen „Helau“-Enklave der Region. Im Godesberger Ortsteil Schweinheim ruft man übrigens „Wutz wutz“.
  • Ohne Büggel (Beutel) zum Rosenmontagszug – so viel Süßes kann kein Kind tragen.
  • Mit der Lieblingskrawatte an Weiberfastnacht ins Büro – auch die netteste Kollegin greift im Zweifel erbarmungslos zur Schere. Allerdings geht der Trend aktuell ohnehin zum offenen Hemdknopf, statt zum Windsorknoten. Bleiben noch die Schnürsenkel...
  • Im Bärenfell zur Sitzung – lustige Plüschkostüme sind eigentlich nur für den Straßenkarneval an eisigen Februartagen geeignet.
  • Kostüme mit Handgranaten-Attrappen und täuschend echten Waffen – die Polizei hat schon genug zu tun. Angesichts des Ukraine-Kriegs findet martialische Kostüme erst recht niemand lustig.
  • Karnevalsorden in der Schublade verschwinden lassen, weiterverschenken oder bei Ebay-Kleinanzeigen versteigern – wenn man die persönliche Auszeichnung nicht in Ehren hält, verstehen die Karnevalisten keinen Spaß.
  • Masken und Masken verwechseln – die einen schützen vor Infektionen, die anderen vor dem Wiedererkanntwerden nach rauschenden Partys. Situationsangepasst können beide sehr hilfreich sein.

Unbedingt:

  • In jeder Verkleidung zu jeder Zeit öffentliche Verkehrsmittel benutzen – es guckt hier im Rheinland wirklich keiner komisch, wenn man mitten im Dezember als Vampir oder Superheldin in die U-Bahn steigt.
  • Die Refrains der wichtigsten Karnevalshits lernen – sie enthalten Weisheiten fürs Leben wie „Die Tränen, die du lachst, musst du nicht weinen“.
  • Die einmalige Chance auf Tickets nutzen – wer weiß, ob es nächstes Jahr wieder so einfach ist, an Karten für die Prunksitzungen der großen Karnevalsgesellschaften zu kommen oder für das Alternativprogramm von Pink Punk Pantheon.
  • Kostüme mit integrierter Beleuchtung basteln – dank Lichterketten mit sparsamen LEDs ist es trotz Energiekrise ganz leicht, als Qualle bläulich zu schimmern oder als Weihnachtsbaum zu funkeln.

Närrisches Wörterbuch

Funken: Die historischen Kölner Stadtsoldaten wurden wegen ihrer roten Uniformen auch Funken genannt. Der Begriff wird im Karneval jedoch allgemeiner benutzt, zum Beispiel „grüne Funken“ für die Polizisten, die den Rosenmontagszug anführen.

Halve Hahn: Auf Speisekarten in den Sitzungssälen beliebt und garantiert fleischlos. Man bekommt ein Roggenbrötchen (Röggelchen) mit Käse und Senf. Mit Blutwurst statt Käse wird das zum kölschen Kaviar, der so wenig mit Fisch zu tun hat wie der Halve Hahn mit Huhn.

Jet ze müffele: Es gibt ewas zu Essen. Mit Gerüchen hat dieser rheinische Begriff eigentlich wenig gemein, es sei denn, es sind sehr viele Zwiebeln auf dem Mettbrötchen.

Kamelle: Das rheinische Wort für Bonbons ist zugleich Schlachtruf der Jecken am Zugweg. Durch die Luft fliegt alles, was süß ist – auch Weingummi und Schokolade.

Knabüß: Im Holzgewehr der Karnevalisten steckt eine Blume als Zeichen friedlicher Absichten.

Equipe: Die Leibgarde des Prinzenpaares.

Paias: Das närrische Zepter mit dem Narrenkopf wird gut bewacht, denn das Herrschaftszeichen des Prinzen ist ein begehrtes Diebesgut für fremde Vereine. Zur Auslösung des Paias wird mindestens ein großes Fässchen Bier fällig.

Stippeföttche: Karnevalstanz, bei dem die Soldaten Rücken an Rücken stehen und bei gebeugten Knien ihr Gesäß im Rhythmus der Musik bewegen, auch wibbeln genannt.

Wieverfastelovend: Weiberfastnacht, Auftakt der tollen Tage.