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Katholische Kirche müsse sich wandeln: Bonner Ehrendechant fordert Wende in der Kirche

Katholische Kirche müsse sich wandeln : Bonner Ehrendechant fordert Wende in der Kirche

Monsignore Alfred Hausen, Ehrendechant aus dem Bonner Norden, hält angesichts schlechter Nachrichten eine Kehrtwende in der katholischen Kirche für unabdingbar. Unter anderem plädiert er dafür, dass auch Frauen Priester werden können.

Monsignore Hausen, wie ist die Lage in der Kirche?

Alfred Hausen: Die katholische Kirche ist durch den Missbrauchsskandal weltweit in eine große Krise geraten. Der Vertrauensverlust ist sehr groß, sodass viele Gläubige die Kirche verlassen.

Experten behaupten, dass sich die Zahl der Christen in Deutschland bis zum Jahre 2060 halbiere…

Hausen: Meiner Meinung nach wird die Halbierung bereits in zehn Jahren erfolgt sein.

Was macht Sie so pessimistisch? Strukturelle Bewegung gibt es derzeit ja nicht zu knapp…

Hausen: Aber die Bewegung zielt in die falsche Richtung. Man gründet immer neue Seelsorgebezirke, um den Priestermangel aufzufangen. Zwei bis drei Gemeinden zusammenzulegen, erscheint mir noch verträglich, denn der Glaube wird in der Heimat gelebt. In Bonn aber steuern wir auf fünf Sendungsräume mit jeweils einem leitenden Pfarrer zu. Immer mehr Eucharistiefeiern fallen aus, die der Mittelpunkt der Gemeinden sind. Man muss kein Prophet sein, um zu behaupten, dass in einigen Jahren jede Stadt ein einziger Seelsorgebereich sein wird. Das kann nicht die Lösung sein, das ist Flickschusterei und nicht mehr als die „Versorgung des Rests.

Aber Priestermangel und rückläufige Mitgliederzahlen sind ja nun einmal Fakten. Haben Sie ein Rezept dagegen?

Hausen: Es muss eine radikale und fundamentale Veränderung in der Kirche erfolgen. Insofern sind hier auch nicht die einzelne Gemeinde oder ein Erzbistum gefragt, sondern die Weltkirche. Es ist deshalb an der Zeit, dass der Papst ein drittes Vatikanisches Konzil einberuft, um sich folgenden Themen zu widmen: Frauenordination, die Weihe von Diakonen zu Priestern, die Förderung der Ökumene und ein realitätsnahes Verhältnis zur Sexualität.

Dann fangen wir doch mit der Ordination von Frauen an, wie sie zuletzt ja auch von der Initiative „Maria 2.0“ gefordert wurde. Welchen dogmatischen Grund gibt es, der dagegen spricht?

Hausen: Keinen. Im Gegenteil, die Würde der Frau verlangt volle Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung. Die Frauen leisten in der Seelsorge den größten Anteil. Sie haben deshalb auch ein Anrecht auf ein größeres Mitspracherecht. In der evangelischen Kirche ist man dem schon gerecht geworden, dort gibt es ordinierte Pastorinnen.

Wobei sich die evangelische Kirche nicht gerade in einem besseren Zustand befindet….

Hausen: Das stimmt. Tatsache aber ist, dass sich das Problem des Priestermangels entschärfen ließe. Als erster Schritt wäre die Einführung eines ständigen Diakonats auch für verheiratete Frauen vorstellbar, die man analog zu den Männern nach Vollendung des 35.Lebensjahres und entsprechender Ausbildung weihen könnte. Nach einer Bewährung von zehn Jahren sollte man sie dann auch zu Priestern weihen und sie mit einer Gemeindeleitung beauftragen. Das wäre für die katholische Kirche ein großer Gewinn.

Ähnliches schwebt Ihnen auch bei den männlichen Diakonen vor?

Hausen: Richtig. In Köln sind in den letzten 50 Jahren 419 Männer zu Diakonen geweiht worden. Hieran sehen Sie schon, welche Quelle für neue Priester hier schlummert. Auf diese Weise käme man wieder zu überschaubaren Gemeinden, in denen Priester als Seelsorger und Ansprechpartner ihren Dienst tun könnten.

Und was passiert dann mit dem Zölibat?

Hausen: Tatsächlich müsste man den Pflichtzölibat abschaffen. Wir hätten dann den verheirateten Priester neben dem zölibatären Priester. Ich bin sicher, der größte Teil der Gläubigen würde das begrüßen. Übrigens: Den verheirateten Priester gibt es in der katholischen Kirche bereits, nämlich in der unierten Kirche.

Würde die Aufwertung der Diakone nicht den klassischen Ausbildungsweg mit Theologiestudium und Priesterseminar konterkarieren?

Hausen: Sicher, die Ausbildung zum ständigen Diakonat ist etwas anderes als das Studium. Aber sie reicht aus, um den Gläubigen gerecht zu werden und um Gemeinden leiten zu können. So können Diakone auch im liturgischen Bereich viele Aufgaben übernehmen – von der Taufe bis zur Beerdigung.

Sie haben das Thema Ökumene angesprochen. Wenn man in die Kirchen hineinhorcht, so hat man nicht gerade den Eindruck, dass ausgerechnet dort der Schuh drückt.

Hausen: Sicher ist hier in der Vergangenheit viel erreicht worden. Ich würde sagen, dass die Wiedervereinigung im Glauben zu 90 Prozent gelungen ist. Bewusst wurde mir das. als ich neulich eine Taufe spendete, bei der der Vater evangelisch und die Mutter katholisch war. Der Vater sagte zu mir:„Ich kann das Apostolische Glaubensbekenntnis mitsprechen bis auf eine Stelle: Ich glaube an die katholische Kirche Dafür möchte ich sagen können: Ich glaube an die christliche Kirche.“

Wie haben Sie im vergangenen Jahr die 500-Jahr-Lutherfeier erlebt?

Hausen: Sie wurde ja als gemeinsames Christusfest begangen, und darüber habe ich mich gefreut. Christus und die Schrift sind die beiden gemeinsamen Säulen aller christlichen Gemeinschaften. Das geht auch aus meinem neunten Buch hervor mit dem Titel „Hallo Jesus“, das noch in diesem Jahr im Benno-Verlag in Leipzig erscheinen wird. Wir sind alle Brüder und Schwestern in Christus. Toleranz ist das wichtigste Gebot, eine Teiltugend der Nächstenliebe in unserem menschlichen Miteinander.

Begegnet die Kirche dem allgemeinen Wertewandel in der richtigen Weise?

Hausen: Es ist ein Problem, wenn die Menschen den Glauben nicht mehr als einen großen Lebenswert erfahren. Es darf der Kirche nicht in erster Linie um sich selbst gehen, sondern um die Verkündigung Christi und der Auferstehung. Dieses Bewusstsein ist in Deutschland vielfach verloren gegangen. Freizeit und Wohlstand haben religiöse Belange als lebenswert in den Hintergrund gedrängt. Hier trägt auch die Kirche eine Mitschuld, wenn sie die Verkündigung vernachlässigt.

Ist die Kirche bei ihrer Themensetzung womöglich selbst zu säkularorientiert?

Hausen: Ich würde sagen, dass sie sich schon sehr bemüht, Gottes Wort zu verkünden. Aber das Thema kommt nicht mehr so an. Das hängt auch damit zusammen, dass sich die Frage nach dem Sinn des Lebens für viele Menschen nicht mehr stellt. In Zeiten existenzieller Not ist das anders.

Sie bewerten das zweite Vatikanische Konzil durchweg positiv. Es gibt ja auch die Stimmen derer, die den kirchlichen Weg seitdem kritisch interpretieren. Was sagen Sie denen?

Hausen: Es gibt zahlreiche Beispiele für die Errungenschaften des zweiten Vatikanums. Nehmen Sie allein die Messgestaltung oder das Deutsche als Liturgiesprache. Oder – wie bereits angesprochen – die Rolle des Diakonats.

Inwieweit muss die Rolle des Papstes modifiziert werden?

Hausen: Ich könnte mir vorstellen, dass alle Kirchen einen Ehrenprimat des Papstes anerkennen würden. Dabei könnte man die Vielgestaltigkeit der Konfessionen im Sinne einer Einheit in der Vielfalt durchaus beibehalten. Auch in der Frage von Eucharistiefeier und Abendmahl könnte es eine Einigung geben. Christus sagt: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.

Mit Blick auf die Reformbedürftigkeit haben Sie eingangs das Thema Sexualität genannt. Was meinen Sie?

Hausen: Die Sexualität ist ein wesentlicher Bestandteil unseres menschlichen Lebens und ein Geschenk Gottes, das unser Leben bereichern soll.Das wird mittlerweile auch von der Kirche so gesehen. Nach christlicher Vorstellung vollzieht sich die Sexualität in der Ehe zwischen Mann und Frau. Die Liebe der beiden zueinander findet im Kind ihre höchste Erfüllung. Die Humanwissenschaften weisen uns heute darauf hin, dass es auch andere Formen des geschlechtlichen Zusammenlebens gibt. Das müssen wir tolerieren. Wir haben nicht das Recht, andere Menschen wegen ihrer anderen Auffassung von Sexualität zu diskriminieren.

Was sagen Sie zum Thema Familienplanung?

Hausen: Hier sollten wir uns vom Begriff der „verantworteten Elternschaft“ leiten lassen. Allein die Eltern bestimmen Zahl und Zeitpunkt der Nachkommenschaft. Es bleibt allein der Gewissensentscheidung der Eltern überlassen, welche Form der Verhütung sie benutzen.

Allerdings hat sich die Überbevölkerung zum größten Problem der Menschheit entwickelt, das auch den Klimawandel massiv beschleunigt...

Hausen: In den vergangenen 60 Jahren hat sich die Weltbevölkerung verdreifacht. Wenn es so weiter geht, werden wir in weiteren 60 Jahren 21 Milliarden Menschen auf der Erde haben, der Kampf um Nahrungsmittel wird beginnen. Die Chinesen haben das Problem schon lange erkannt. Ich sehe aber vor allem die Eltern in der Pflicht, im Sinne der „verantworteten Elternschaft“ zu handeln. Ich denke, dass zwei bis drei Kinder der Normalfall für jede Familie wäre. So könnte man der Überbevölkerung begegnen.

Und wie wollen Sie das beispielsweise den Menschen in Afrika erklären?

Hausen: Jedenfalls ist es unverantwortlich, Kinder in die Welt zusetzen, die man nicht mehr ernähren kann. Der Papst müsste hier weltweit auf dieses Problem aufmerksam machen und die Eltern zur Verantwortung aufrufen. All das sind nur einige Themen, die ein drittes Vatikanisches Konzil behandeln müsste, um zu einer substanziellen Erneuerung der Kirche beizutragen.