1. Incoming

Ländliche und strukturschwache Gebiete: Bund will Lebensverhältnisse in Deutschland verbessern

Ländliche und strukturschwache Gebiete : Bund will Lebensverhältnisse in Deutschland verbessern

Die Bundesregierung legt ihren Plan für gleichwertige Lebensverhältnisse vor und will über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren vor allem strukturschwache Regionen in West und Ost stärker fördern.

Jede Furche, jeder Acker. Findet Julia Klöckner. Jede Kita, jede Schule. Sagt Franziska Giffey. Jede Stadt, jede Region. Bekundet Horst Seehofer. Es geht in dieser Mittagsstunde um Deutschland. Um möglichst gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen der Republik. Seehofer hält stolz den Deutschland-Atlas hoch. 117 Seiten stark, enthält 54 Karten zu Themen wie Binnenwanderung, Wohnungsleerstand, Baulandpreisen, Minijobbern, Erreichbarkeit von Lebensmittelläden, zu Öffentlichem Personen-Nahverkehr, zur Versorgung mit Hausärzten, zum Breitbandausbau, zu Straftaten, zu Kitas – einfach zu allem, was eine funktionierende Volkswirtschaft ausmacht, beeinflusst oder beeinträchtigt.

50 Jahre nachdem der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher einen solchen Deutschland-Atlas, damals noch gebunden in Leder, vorgestellt habe, gebe es wieder einen strukturierten Überblick über die Lage im Lande, so der Bundesinnenminister. Seehofer, der die vor einem Jahr vom Bundeskabinett beschlossene Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ als Vorsitzender führt, sagt mit einiger Verve: „Das ist ein Modernisierungsplan für Deutschland mit fundamentaler Veränderung der Struktur- und Förderpolitik.“ Ein zentrales Element: Das „Prinzip Gießkanne“ hat ausgesorgt, wie Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, betont.

Überall ein bisschen Förderung, das werde es künftig nicht mehr geben, wenn beispielsweise schnelles Internet und ein verlässlicher, also funktionierender Mobilfunk in alle Winkel dieser Republik gebracht werde. „Nicht Gießkanne, sondern genau hinschauen“ werde man, wenn der Staat für Leben, Arbeit, Bildung und Freizeit in der Oberpfalz, im Emsland oder in Vorpommern ebenso vergleichbare Bedingungen schaffen wolle wie in München, Hamburg, Frankfurt/Main oder Stuttgart. Hier die „überhitzte Metropol-Region“, dort der ländliche Raum. Der Plan ist groß. Agrarministerin Klöckner sagt: „Das ist eine Daueraufgabe. Das wird nicht abgeschlossen sein.“ Denn es gebe Regionen in Deutschland, die drohten den Anschluss zu verpassen. Klöckner: „Das Leben auf dem Dorf darf nicht gefährlicher sein als das Leben in der Stadt, weil der Arzt nicht um die Ecke ist.“

Innenminister Seehofer betont, das werde nicht in einer Legislaturperiode bewältigt sein. „Das ist die Aufgabe einer Dekade.“ Bundesfamilienministerin Giffey liegt besonders an der Kinderbetreuung und der Bezahlbarkeit von Wohnen. „Wenn wir es nicht schaffen, in Kinder zu investieren, werden wir dafür in der Zukunft teuer bezahlen.“ Es gehe insgesamt darum: Wo soll und will Deutschland „2030 und darüber hinaus“ stehen? In 15 Prozent der Fläche des Landes gebe es bisher kein schnelles Internet, betont Seehofer. Giffey ergänzt: „Wenn die Leute keine Verbindung haben, wird es schwierig.“ Seehofer, Klöckner und Giffey vermeiden es, eine konkrete Summe zu nennen, wieviel der Deutschland-Plan in seiner Umsetzung kosten werde. Nur so viel: sehr viele Milliarden Euro.

Seehofer war unlängst in Cuxhaven, in Kürze will er bei seiner Deutschland-Reise in Gelsenkirchen Station machen. Reden mit Oberbürgermeistern, mit Bürgermeistern, mit Stadtverordneten und vor allem: mit den Menschen im Lande. „Die Praxis ist die beste Schule für die Politik.“ Giffey, ehemalige Bürgermeisterin aus dem Berliner Problembezirk Neukölln, sagt: „Am Ende des Tages wird die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse vor Ort gemacht – im Echtbetrieb der Politik.“ Es gehe dabei auch um den „Kitt in der Gesellschaft“, um die Förderung des Ehrenamtes. Dafür soll es eine neue „Stiftung für Engagement und Ehrenamt“ geben, an der alle drei Ministerien beteiligt seien. Über den Sitz der neuen Stiftung sei noch nicht entschieden, aber sie werde in einem ostdeutschen Bundesland angesiedelt.

Dass der Bund künftig tatsächlich allein mit einem einmaligen Betrag mithelfen werde, Altschulden finanzschwacher Kommunen abzubauen, ist nach den Worten von Seehofer aber noch nicht entschieden. Seehofer sagt: „Wir haben hier eine gesamtstaatliche Aufgabe.“ Es werde darüber verhandelt. Der Bund wolle mithelfen, „ein Problem zu lösen, das die Investitionsfähigkeit der Kommunen erdrosselt“. Seehofer: „Wir fördern künftig nicht mehr nach Himmelsrichtungen, sondern nach Bedarf.“

Der Vorsitzende des NRW-Städtetages, Thomas Hunsteger-Petermann, Oberbürgermeister aus Hamm, begrüßt die Initiative. Es sei gut, wenn der Bund signalisiere, beim Altschuldenabbau mitzuwirken. Die NRW-Städte forderten, dass die Landesregierung schnell einen Plan vorlege, um den Kommunen beim Abbau ihrer Altschulden nachhaltig zu helfen. Dafür müsse das Land auch Geld bereitstellen, denn dies setze der Bund voraus, damit er in die Finanzierung einsteige.

Seehofer schlüpft da kurz in seine Rolle als ehemaliger Ministerpräsident von Bayern. Deutschland-Plan in Weiß und Blau gewissermaßen. Er habe seinerzeit darauf geachtet, die Wirtschaftsförderung gezielt auf strukturschwache Regionen auszurichten. „Es geht darum, die Arbeitsplätze zu den Menschen zu bringen.“ Denn: „Die Menschen in Deutschland sollen überall dort leben, wo sie auch leben wollen.“ Ein Ergebnis der bayerischen Förderpolitik: Die Spreizung der Arbeitslosenquote im Freistaat liege mittlerweile bei nur mehr einem Prozent. Früher habe sie „in Wintermonaten bei 30 Prozent“ gelegen. Aber jetzt gebe es wieder einen Deutschland-Plan. Wie ist der Koalitionsvertrag auch überschrieben? „Ein neuer Zusammenhalt für unser Land.“ Alle dürfen, können, sollen mitmachen. Stadt, Land, Bund.