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Alt-Bundespräsident besucht Maria Laach: Joachim Gauck fordert mehr Toleranz, aber auch Streit

Alt-Bundespräsident besucht Maria Laach : Joachim Gauck fordert mehr Toleranz, aber auch Streit

Alt-Bundespräsident stellt im Kloster Maria Laach sein neues Buch vor und begeistert seine Zuhörer. Der ehemalige Bundespräsident ruft zu mehr Toleranz in Richtung rechts auf.

Joachim Gauck polarisiert gerade. Der ehemalige Bundespräsident ruft zu mehr Toleranz in Richtung „rechts“ auf in seinem mit Helga Hirsch verfassten neuen Buch „Toleranz – einfach schwer“. Im „Spiegel“-Interview und im ZDF-Gespräch mit Markus Lanz hat er es erläutert, nun auch vor vollen Reihen beim „Laacher Forum“, das derzeit die Adenauer-Ausstellung der Abtei Maria Laach begleitet.

„Es ist für uns eine Ehre, dass Sie in ein wichtiges und notwendiges Gespräch eintreten“, begrüßte ihn Prior-Administrator Petrus Nowak. Von selbst stelle sich Toleranz nicht ein. „Es muss an sie erinnert werden“. Auch die Mönchsregel des Heiligen Benedikt spreche von Toleranz: So sollen die Mönche einander mit ihren Schwächen „in unerschöpflicher Geduld ertragen“. An Adenauer in Maria Laach, der Zuflucht vor den Nationalsozialisten suchte, als sein regimefreundlicher Schulfreund Ildefons Herwegen Abt war, erinnerte Nowak ebenfalls.

Dankbar für das ihm bislang unbekannte Toleranz-Beispiel, stieg Gauck ins Thema ein. Als Christ in der DDR war ihm die Toleranz gegenüber dem Mitmenschen damals ebenso selbstverständlich wie die Intoleranz gegenüber einer Regierung, die Oppositionelle bekämpfte und gegenüber Mitbürgern, die bespitzelten. Nach der Wiedervereinigung stieg er als „Pastor aus, aber als Politiker ein, weil ich mitgestalten wollte“. Doch der Neubürger Berlins fremdelte mit Fremden, Aussteigern, offen gezeigtem Schwulsein. „Das kratzte an meinen Gewohnheiten“. Auch das Essen.

Sein Kopf sagte, „das ist Pluralität“. Aber es brauche Zeit, Ungewohntes auszuhalten. Zu viel könne überfordern. Zugleich schien ihm die Toleranz in Berlin „Indifferenz, entkernte Leichtigkeit, eine Spielart der Dekadenz“ zu sein. Aber er aß seinen ersten Döner und fand: „Geht.“ Alles im Saal lachte.

Hass will er nicht tolerieren

Eloquent, gebildet, dabei charmant, gelang es Gauck auf Anhieb, die Zuhörer zu fesseln. Wenn er mehr erzähle als lese, dann, um sie „bevorzugt zu behandeln“, da frisch Gesprochenes lebendiger ankomme als Repetiertes. Warum das Buch? Warum jetzt? Weil die Welt einen Umbruch erlebe, wie vielleicht zuletzt zu Beginn des Maschinenzeitalters. Heute verunsicherten Europäisierung, Globalisierung, technische Revolution, moderne Lebensstile. Da sei Toleranz manchmal „eine Zumutung“.

Er habe sich gefragt, warum Menschen all überall, selbst in den besten Demokratien, in Skandinavien, gerade Rechtspopulisten wählen. Es liege an der Verunsicherung, die Menschen bei dem Vertrauten festhalten lasse, das ihnen die autoritäre Politik verspreche. „AfD-Wähler wollen keine Nazis, sondern sie wählen so, weil sie Zukunftsangst haben“. Nicht alles was politisch „rechts“ von der Mitte sei, müsse man verdammen.

Aber Hass, was bösartig, fremden- und menschenfeindlich sei, wolle er nicht tolerieren. „Wer Toleranz abschaffen will, muss mit der Intoleranz der Toleranten rechnen“. Denn, wie der Philosoph Karl Popper gesagt habe, „Demokratie ist klasse, hat aber eine weiche Stelle, wenn Demokraten Diktatoren wählen“.

„Toleranz kann eben auch bedeuten, gegen jemanden zu kämpfen“

Dass Toleranz schwierig ist, erschloss Gauck mit den Facetten dieser Tugend. Sie reichten von Respekt und Anerkennung, so wie er an Katholiken schätze, dass sie sich mehr als Protestanten an der Welt freuten, über die friedliche Koexistenz etwa im Kalten Krieg, bis zur Toleranz als bewusste Auseinandersetzung mit unbequemen Auffassungen und Gruppierungen.

Mit Gauland und Höcke würde er streiten. „Toleranz kann eben auch bedeuten, gegen jemanden zu kämpfen“. Gauck mahnte zudem, „wenn wir Probleme nicht unter den Guten besprechen, besprochen werden sie – an den Stammtischen.“ Kräftiger Publikumsbeifall. Ängsten, so verständlich sie seien, solle man nicht zu früh folgen, „dann verpasst man die Chance sie zu überwinden“.

Zuletzt bekräftigte er, man müsse intolerant gegenüber Mördern und Menschenfeinden gleich welcher Couleur sein, „aber bis dahin ist viel demokratischer Raum zu streiten“. Der Meister des geschliffenen Wortes plädierte dafür, die Herausforderung Toleranz anzunehmen, statt duldendem Hinnehmen aber Toleranz aus Selbstüberwindung zu üben. Der Gewinn sei ein weiterer Debattenraum, in dem Prozesse wachsen könnten, insgesamt „menschliche und zivilisatorische Reife“. Prasselnder Applaus folgte auf die frische Rede trotz hoher Temperaturen. Gauck dankte und machte sich ans Signieren seiner Bücher.