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Vom Urknall bis zum Undezimalsystem

Vom Urknall bis zum Undezimalsystem

Tradition und Spökes mischen sich wild zur fünften Jahreszeit - Warum die Elf die närrische Zahl ist und das Funkemariechen ein Mann war - Einiges ist klar, manches nebulös

Rhein-Sieg-Kreis. () Getreu der Devise "Jeder Jeck ist anders" ist "Jecksein" abhängig von Raum und Zeit immer etwas anderes: Schwer tut sich, wer sich dem Brauchtum nicht als Narr sondern als Forscher nähert - zumal im rheinischen Karneval, wo ab Weiberfastnacht Dinge geschehen, die mancher an Aschermittwoch ganz schnell wieder vergessen will.

Einiges ist klar, manches nebulös, für Vieles gibt es dutzende Erklärungen, und viele Histörchen sind einfach zu schön, um nicht wahr zu sein. Manche Forscher führen Höhlenmalereien als Beleg für die Ursprünge des Karnevals in der Steinzeit an, andere entdecken ihn in fast allen Kulturen, bei römischen den Saturnalien und Bacchanalen, und auch bei Griechen, Ägyptern und Völkern Vorderasiens. Möglich wäre auch, dass das Brauchtum auf die Entstehung des Universums im Urknall zurückgeht. Zumindest gibt es in Eschmar eine KG namens Eischeme Knallköpp.

Fastnacht oder Fastelovend sind eng mit der Fastenzeit verbunden. Sie bezeichnen den Dienstag vor Aschermittwoch - die Nacht vor Fasten. Der Begriff Karneval stammt aus dem italienischen: Carne(le)vale - und steht für die "Fortnahme des Fleisches" oder "Fleisch leb wohl". 40 Tage - bis zum Ostersonntag - dauert die Fastenzeit, wobei die Sonntage nicht mitgezählt werden. Ostersonntag fällt auf den ersten Vollmond nach Frühlingsanfang, dieses Jahr auf den 31. März. Den Narren beschert das eine kurze Session. Muzen, Muzemändelche und Krapfen gehen auf das rheinische Prinzip "Wat fott es, es fott" zurück. Mit den Rezepten lassen sich Eier und Schmalz verarbeiten, die in der Fastenzeit verboten sind.

Karnevalsbeginn ist am 11.11. und wer etwas auf sich hält, sitzt im Elferrat - 11 ist einfach die närrische Zahl. Das rheinische "Undezimalsystem" (undecim, lateinisch für elf) steht vielleicht für (E)galit‚, (L)ibert‚, (F)raternit‚ - Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit - was gut zum Hintergrund des politischen Karnevals passen würde, der in Köln geboren wurde. 1823 startete der erste Rosenmontagszug. Für Andere steht die Elf für Teufel und Maßlosigkeit. Sie ist nicht mehr an zehn Fingern abzählbar, und Moses hat schließlich auch nur zehn Gebote empfangen. In Köln ist die Zahl historisch: Die elf Tränen im Stadtwappen stehen für die elf Jungfrauen - darunter die heilige Ursula, die die Hunnen anno 452 bei Köln umbrachten.

Dass Untertanen ihre Fürsten auf die Schippe nehmen, ist eine Tradition, die schwer ins Geld gehen kann. "Ab 2 500 Euro aufwärts kostet das Prinzenkostüm", sagt Pit Raderschad, Ehrenpräsident der 1. Hennefer KG. Beim Rosenmontagszug 1823 trat noch ein "Held Karneval" auf und trug eine Krone mit Pfauenschweif, eine goldene Kette, und weiße Kleidung unter einem purpurnen Mantel, Zepter und Pritsche zum Krach machen. Den Adelstitel Prinz erhielt er später. Die Jungfrau stand für die römische Kaiserin Agrippina. Der Bauer schwang erstmals 1825 den Dreschflegel.

Im Kölner Karneval ruft man Alaaf - von "all-ab" für: Köln vor allen anderen - und wie den Fastnachtsruf hat man in der Region auch einige Kölner Soldatencorps übernommen: Rote Funken, Ehrengarde und Prinzengarde stehen Pate für die rot-weiß gewandeten Kazi-Funken in Lohmar und die rot-cr‚meweiße Prinzengarde wie auch die grün-gelbe Ehrengarde "Spinat mit Ei" in Augustin. Die ersten waren 1823 die Kölner Roten Funken, die auch am ersten Rosenmontagszug teilnahmen. Sie parodierten die Stadtsoldaten Kölns, die sich nach dem Einmarsch der Franzosen 1794 spontan aufgelöst hatten. Die ältesten im Rhein-Sieg-Kreis sind die Siegburger Funken "Blau-Weiß" von 1859. Sie entstanden aus der 1854 gegründeten Kolpingfamilie und sind älter als die blau-weiße Funken-Artillerie in Köln von 1870.

Die Kolpingfunken mussten 1936 auf ihr Mariechen verzichten. Das war bis dahin ein Mann. Der letzte hieß Josef Stock, Vater des heutigen Präsidenten Peter. Stock wurde Tanzoffizier. Auch die Bonna war bis 1935 "ne staatse" Kerl: Die Nationalsozialisten setzten eine Frau auf den Posten. Denen war die Parodie auf das Militär suspekt.

Nach dem Krieg gab es erst männliche Mariechen, doch in den 50er Jahren setzte der Siegeszug des weiblichen Mariechens ein, das heute wohl niemand mehr missen will. Bei den Hennefer Stadtsoldaten allerdings gibt einer immer noch zur Gaudi aller Jecken den "Spetzebötzje".

Ungern denkt ein Bekannter an die Zeit zurück, die er auf einer Prunksitzung und noch dazu im Elferrat zubrachte: "Da musste man ständig klatschen, Alaaf brüllen, kam überhaupt nicht zum Trinken und dann gab''s nur Wein und kein anständiges Kölsch" - auf vielen Sitzungen wird nur Wein und Kalte Ente gereicht. Pit Raderschad: "Eine Prunksitzung ist nun mal etwas feineres, deshalb wird Wein gereicht." Zudem gebe es den alten Karnevalshit "Nur die Präsidenten trinken Kalte Enten, un dat andere Jemölsch trinkt Kölsch".

Karnevalsseiten im Internet: www.kamelle.de,www.brauchtum.karneval-info.de, www.karneval.de.