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Spitzenhäubchen im Veedelszoch

Spitzenhäubchen im Veedelszoch

Verein für Geschichte und Kultur der Juden im Rheinlande rüstet sich für seine erste aktive Karnevals-Teilnahme

Oberkassel. Das Kleine Jüdische Lehrhaus im Ausnahmezustand: Vor der Glasvitrine mit dem siebenarmigen Leuchter türmen sich auf Bistrotischen silbergraue Perücken. Vereinsmitglieder probieren das Kunsthaar zusammen mit Häkelumhängen und Spitzenhäubchen an - bis sie entfernt an ihre eigenen Urgroßeltern erinnern.

Hintergrund der optischen Zeitreise ist eine jecke Premiere: Am Karnevalssamstag geht der Verein für Geschichte und Kultur der Juden im Rheinlande zum ersten Mal beim Oberkasseler Veedelszoch mit. Als "Kaffeewitwen" werden am Karnevalssamstag 25 altmodisch verkleidete Vereinsmitglieder samt Auto und Anhänger durch Oberkassel ziehen. Mit vollen Händen wollen sie etliche Kilogramm schokolierter Espressobohnen unters Narrenvolk bringen.

"Der Gedanke, uns am Zug zu beteiligen, kam uns nach einem Besuch der Kaasseler Jonge", erzählen Vereinsvorsitzende Gabriele Wasser und Vorstandsmitglied Leah Rauhut-Brungs. Langsam aber sicher nahm die Idee an Fahrt auf - zumal sich einige Mitglieder an jüdische Kaufleute von anno dazumal erinnerten, die mit Leib und Seele Rheinländer waren.

Ob die Bonner Unternehmerin Rachel Hess im 19. Jahrhundert ebenfalls solch eine Frohnatur war, ist nicht bekannt. Posthum steht die Besitzerin einer Kaffeerösterei jetzt jedenfalls im Mittelpunkt der Karnevalspremiere von Wasser, Rauhut-Brungs und ihren Mitstreitern. Hess ist keine Unbekannte im Kleinen Jüdischen Lehrhaus. Aufmerksamen Besuchern ist die nach ihrem Vorbild gestaltete Filzpuppe vielleicht schon mal aufgefallen: Mit rundlicher Figur und Nickelbrille auf der Nase kann man sie in einer der gläsernen Vitrinen bestaunen.

"Eigentlich ist das gute Stück keine Puppe, sondern "ein 140 Jahre alter Kaffeewärmer", sagt Vereinsmitglied Maria Winden. Kaffee war die große Passion der 1787 in Bonn geborenen Kaufmannstochter Rachel Hess. Noch in ihren Zwanzigern hatte Hess - nach dem frühen Tod ihres Mannes Amschel Zuntz - das väterliche Kolonialwarengeschäft in der Judengasse übernommen. Sukzessive änderte die Jung-Unternehmerin das Sortiment, bis sie 1837 die Kaffeerösterei "A. Zuntz sel. Witwe" eröffnete.

Mit gebranntem Java-Kaffee traf sie den Geschmack der Zeitgenossen. Ihr Spezialgeschäft florierte und wuchs als Familienunternehmen immer weiter. 1907 zählte die Zuntz Kaffeerösterei zu den größten der Branche und beschäftigte Mitte der 30er Jahre 750 fest angestellte Mitarbeiter. "Vor dem Novemberpogrom von 1938 wurde die Firma von den Nationalsozialisten enteignet", sagt Wasser. In der Nachkriegszeit verblasste der Ruhm des Geschäfts. Gar nicht verblasst sind Wassers Kindheitserinnerungen - an die Montagmorgen in den 50er Jahren. Als bei Zuntz die Kaffeebohnen geröstet wurden, war das für sie als kleines Kind ein Erlebnis: "Über dem ganzen Wohngebiet lag damals frischer Kaffeeduft. Wenn ich daran denke, rieche ich ihn auch jetzt noch."