Reformierter Karneval

Glosse

Karnevalisten sind traditionell der Tradition verpflichtet. Was ein gerüttelt Maß an Innovationskraft - die unser Land zurzeit ja so dringend braucht - nicht ausschließt. Und so ist es kein Zufall, dass die Siegburger Jecken gerade jetzt Abschied nehmen von lieb- aber sinnlos gewordenen Gewohnheiten.

Schließlich war just zum närrischen Datum, dem 22.11., die erste Bundeskanzlerin vereidigt worden. Seitdem geht ein Rock durch unser Land. Und der heißt Reformen, Reformen, Reformen. Das war wahrlich ein deutliches Signal an alle Anhänger der fünften Jahreszeit.

Die Siegburger Jecken haben als erste die Zeichen der neuen Zeit erkannt und setzen sich an die Spitze der Innovationsbewegung. Das schafft Zuversicht und Arbeitsplätze. Ihr erstes Projekt: Der Sturm aufs Rathaus wird nicht mehr aufs Rathaus geblasen, sondern aufs Museum. Das ist nur konsequent, denn seit der kommunalen Finanzmisere wird im Rathaus sowieso nichts mehr entschieden. Es verschwindet im Orkus der Bedeutungslosigkeit.

Und seien wir ehrlich: Wer kennt schon den Nogenter Platz? Niemand. Aber jeder kennt den Marktplatz und den Portikus auf den Museumstreppen. Also können die Jecken getrost ihre Narrenkappe zu Markte und den Rathaussturm ins Museum tragen. Das Paradoxe: In einer Zeit, in der der Bürgermeister nichts mehr zu sagen hat, müsste er auch nicht mehr entmachtet werden. Wenig Macht hat er jetzt schon viel.

Freilich ist das alles erst der Anfang. Die kommende Karnevalssession wird dann am 22.11. eröffnet (siehe oben). Das Prunksitzungsprogramm bestreiten die Ein-Euro-Jober der Arge-Center, und der närrische Lindwurm nimmt die gleiche Route wie der ICE. Dann stehen auch weniger Autos im Stau. Am Bahnhof heißt es dann: Vorsicht an der Bahnsteigkante - d'r Zoch kütt. Ein dreifach kräftiges "Sieburch, Alaaf!"

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