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Wahl in den USA: Präsidentschaftskandidat Joe Biden verliert an Boden

Wahl in den USA : Präsidentschaftskandidat Joe Biden verliert an Boden

Der frühere US-Vizepräsident macht in einer Debatte demokratischer Präsidentschaftsanwärter eine schlechte Figur. Der 76-Jährige wirkte nicht souverän genug, um die zu erwartenden Spitzen seiner Parteifreunde zu parieren.

Joe Bidens Pult steht genau in der Mitte. Den zentralen Platz auf der Bühne des Adrienne Arsht Center in Miami hat er sich verdient, weil er die Bewerberumfragen der Demokraten mit großem Vorsprung anführt. Das aber könnte sich in absehbarer Zeit ändern, denn bei seiner Debattenpremiere macht er keine gute Figur. Ob er zu alt, zu fahrig, zu sehr aus der Übung gekommen ist, um 2020 im Duell gegen Donald Trump zu bestehen: Solche Fragen werden nun deutlich lauter gestellt nach einem Abend, an dem der 76-Jährige nicht souverän genug wirkte, um die zu erwartenden Spitzen seiner Parteifreunde zu parieren.

Den Anfang macht Eric Swalwell, ein junger Kongressabgeordneter aus Kalifornien, der den Veteranen auf eher listige Art attackiert. Vor 32 Jahren, da sei er sechs Jahre alt gewesen, so Swalwell, habe er einen Präsidentschaftskandidaten sagen hören, es sei an der Zeit, die Fackel an die neue Generation weiterzugeben. Der Kandidat sei Joe Biden gewesen, und nun frage er Biden, ob er die Fackel nicht auch weitergeben wolle an die nächste Generation. Dann erinnert ihn Bernie Sanders, der linke Senator aus Vermont, an das Parlamentsvotum vor dem Irakkrieg, bei dem auch Biden, übrigens im Einklang mit der Mehrheit seiner Partei, grünes Licht für den Einmarsch gab.

Kamala Harris bringt Biden wirklich in Verlegenheit

Wirklich in Verlegenheit aber stürzt ihn Kamala Harris, die kalifornische Senatorin, die zwar von Anfang an zum Favoritenkreis gehörte, aber in der Frühphase des Rennens nicht richtig in Schwung zu kommen schien. Als einzige Schwarze auf dieser Bühne wolle sie über das Problem des Rassismus reden, schaltet sie sich ein, als es um Polizeigewalt gegen Afroamerikaner geht. Dann spricht sie Biden direkt darauf an, dass er seine Kooperation mit zwei Senatoren aus den Südstaaten, beide Demokraten, beide betonharte Befürworter der Rassentrennung, beide längst verstorben, als Beispiel für seine Fähigkeit zum Kompromiss herausgestellt hat. „Ich glaube nicht, dass Sie ein Rassist sind“, beginnt Harris. Aber zu hören, wie freundlich er über Anhänger der Segregation gesprochen habe, das sei für sie etwas Persönliches – und Verletzendes – gewesen.

Der junge Parlamentarier Biden, ruft sie in Erinnerung, habe es abgelehnt, die Bundesregierung intervenieren zu lassen, wenn sich lokale Verwaltungen weigerten, Bustransporte zu organisieren, damit schwarze Schüler in bessere, traditionell weiße Schulen gebracht werden konnten. Biden habe sich gegen dieses „Busing“ (die englische Kurzformel dafür – Red.) ausgesprochen, während ein kleines Mädchen in Kalifornien täglich in einem der Busse zu einer Schule fuhr, in der Weiße und Schwarze erst im zweiten Jahr gemeinsam in den Klassenzimmern saßen. „Dieses kleine Mädchen war ich.“

Es ist ein Moment, der Biden nicht gut aussehen lässt. Statt zu erwidern, dass er im Laufe der Jahre dazugelernt habe, verteidigt er sich mit einem Argument, das auch die Bewahrer des Status quo gern benutzten, wenn sie sich gegen die von den Bürgerrechtlern erzwungenen Veränderungen stemmten. Er sei nicht gegen das „Busing“ gewesen, wohl aber dagegen, dass der Bund lokalen Behörden Auflagen machte.

Biden reagiert auf Geschichtslektion empört

Worauf ihm Harris noch einmal den Sinn der Bürgerrechtsgesetze der 1960er Jahre erklärt: Seither konnten Gemeindeverwaltungen oder auch Bundesstaaten mit einem Machtwort aus Washington gezwungen werden, sich der Integration in den Schulen, 1954 vom Obersten Gerichtshof verfügt, nicht länger zu widersetzen. „Es gibt Momente, in denen die Staaten daran scheitern, die Bürgerrechte durchzusetzen.“

Es ist eine Geschichtslektion, eine Lektion, auf die Biden empört erwidert, wenn man heute noch einmal verhandeln wolle, ob er die Rechte der Afroamerikaner unterstützt habe, sei er jederzeit bereit, dies zu tun.

Einen Mann, der Barack Obama, dem ersten US-Präsidenten mit dunkler Haut, acht Jahre lang als Stellvertreter diente, in Verbindung zu Rassisten zu bringen – Bidens Fans halten es für absurd. Der Wortwechsel zeigt aber auch auf, wo Bidens Schwachstellen liegen. Er schleppt, so die Metapher amerikanischer Kommentatoren, jede Menge Ballast mit sich herum. 1972 zum ersten Mal in den US-Senat gewählt, hat er im Laufe einer langen Karriere Dinge gesagt, die gerade in den Reihen der Demokraten, einer auf Korrektheit achtenden Partei, viele zumindest die Stirn runzeln lassen. Und Kamala Harris, Tochter eines aus Jamaika stammenden Ökonomieprofessors und einer in Indien geborenen Medizinerin, hat – mit einem einzigen Beispiel – den Finger direkt in die Wunde gelegt.