1. Narren-News
  2. Bonn

Ein Selbstversuch: Ein "Immi" unter wilden Wievern

Ein Selbstversuch : Ein "Immi" unter wilden Wievern

Nö, ich bin nicht jeck. Zum Zoch gehe ich nur meinen Kindern zuliebe (sechs und elf Jahre alt). Schunkeln liegt mir, sagen wir mal, nicht direkt im Blut. Und zu allem Überfluss mag ich nicht mal Kölsch oder sonstiges Gerstengebräu. Das macht einen Selbstversuch an Weiberfastnacht irgendwie zur Herausforderung.

Start ist vormittags am Beueler Rathaus. Drinnen feiert eine ausgelassene Verwaltungsmeute, draußen jubeln die bunten Massen dem unvermeidlichen, aber stimmungstechnisch nicht zu unterschätzenden Bruce Kapusta mit seiner Trompete zu, während OB Jürgen Nimptsch als Graf Dracula (kleine Anspielung auf kommende Grundsteuererhöhungen?) vom Balkon winkt.

Eine junge Bauchtänzerin bekommt von ihrer Freundin mit Lippenstift Kussmünder auf die nackte Haut um den Nabel gemalt. Die Stimmung steigt, der Alkoholspiegel auch: Die blonde Matrosin mit leichter Schlagseite braucht die helfende Hand ihres Matrosen, als sie durch das rot-weiße Absperrgitter an der Friedrich-Breuer-Straße klettert.

Nachdem Wäscherprinzessin Jenny das Rathaus genommen hat, setzt sich das Narrenvolk in Richtung Rheinufer und Innenstadt in Bewegung. Auf dem Strom glitzert die Sonne, die heute wie bestellt vom Himmel strahlt. "Komm her, Prinz, und umarme mich", ruft eine dunkelhaarige Schönheit vor dem Hilton und lässt ihre Begleiter kurz stehen. Sicher doch, wenn man so nett gebeten wird... "Fiere schön", gibt sie mir mit einem lässigen Wink mit auf den Weg.

Würde ich ja gern, aber vor dem "Gequetschten" an der Sternstraße ist Warten angesagt. Nach 15 Minuten drinnen weiß ich, warum der Türsteher so streng ist: Wer sich in der holzgetäfelten, mit Goldfolie und Girlanden geschmückten Kneipe bewegen will, muss sich zwischen schunkelnden Kätzchen, Piraten, Bienen und Hexen hindurchquetschen.

Zigarettenqualm und Mettbrötchen-Duft liegen in der sauerstoffarmen Luft; aus den Lautsprechern dröhnt "An der Reeperbahn nachts um halb eins". Alle singen mit. Gut, kann ich wohl auch nicht anders. "Ist das Himbeersirup?", fragt ein Schnauzbart und deutet grinsend auf mein Rotweinglas. Er sieht aus wie einer von den Stadtsoldaten, aber so ganz genau weiß ich das nicht. Noch nicht.

Vor dem "Bierhaus Machold" in der Altstadt ist die Schlange noch länger. Das Publikum ist jünger als im "Gequetschten", zwischen 20 und 50 Jahren. Unter der Decke kleben Luftballon-Wolken; die Musik reicht vom Brings-Klassiker "Superjeile Zick" bis zu den Black Eyed Peas. "Frau Dr. Sommer" im weißen Kittel hinter dem Tresen schenkt mir ein reizendes Lächeln, als ich einen O-Saft bestelle (muss schließlich noch diesen Text schreiben).

Wie schafft die das nur, so nett zu sein, bei dem Stress hier? Heiß und eng ist es auch in diesem Etablissement. "Hast du Spaß?" fragt eine Zigeunerin Mitte 40, während ich mich durch die Menge schiebe. "Ja? Siehst aber nicht so aus!" Autsch, das hat gesessen. Ich mache es wieder gut, indem ich angeregt mit Iris plaudere. Die ist extra 400 Kilometer aus Thüringen herübergefahren, um in Bonn Weiberfastnacht zu feiern.

Die Toiletten im Bierhaus sind derart überlaufen, dass die Frauen das Herren-WC mitnutzen. "Wir gucken nicht hin", verspricht eine, die im Waschraum wartet. Ihre Freundin setzt hinzu: "Aber man muss auch jönne könne."

An dieser Stelle frage ich mich, wo der Unterschied zwischen normalem Karneval und dem tollen Tag der Wiever eigentlich liegt. Wo ist die Rebellion der Damen in Zeiten, in denen über Frauenquoten in Deutschlands Chefetagen debattiert wird? Gut, die prüfenden Blicke, die Frauen heute in Männeraugen senken, sind etwas intensiver als üblich. Aber sonst? Haben sie Spaß, die Wiever, wie mich Jutta, 58 und im richtigen Leben Lehrerin, aufklärt. Und das ist ja auch ein Wert an sich.

Letzte Station: die Beethovenhalle, die von den Machern der After-Job-Partyreihe bespielt wird. Hunderte von Männern und Frauen, die meisten jung. Lichtshow und Kunstnebel, Brings und aktueller Hitparadenstoff aus den Boxen. Fünf Frauen starten eine Polonaise, schnappen sich den Polizisten neben mir - und ich muss auch mit.

Fazit am Abend: So richtig jeck bin ich immer noch nicht. Aber ich muss zugeben, es hat Spaß gemacht. Vielleicht versuche ich das nochmal. Am Montag.

Zur Person:
Andreas Baumann (42), hier mit LiKüRa-Prinzessin Wencke I., stammt aus Merseburg in Sachsen-Anhalt, wo Karneval ein Fremdwort ist. Dort feiert man Fasching - jedenfalls ein wenig.

Sieben Jahre in Solingen brachten ihm zumindest den bergischen Karneval etwas näher. Seit Sommer 2010 schreibt der Zugereiste für den General-Anzeiger und versucht, die Geheimnisse der bönnschen Seele zu enträtseln.