Dreispitz, Schottenkilt und männliche Mariechen
Das Rheinbacher Stadtsoldatencorps feiert im September 100-Jähriges - Die Chronik der Karnevalisten bietet Traditionelles, Überraschendes und zahlreiche Anekdoten
Für Rheinbach wird es ein Fest der Superlative: Festkommers, Rheinischer Abend und ein historischer Festumzug sind unter anderem geplant, wenn das Stadtsoldatencorps 1905 Rheinbach im September sein 100-jähriges Bestehen feiert. "Für den Umzug haben wir schon jetzt weit über 100 uniformierte Zusagen, und 60 Pferde werden dabei sein", erzählt Kommandant und erster Vorsitzender Willi Hohn, der mit seinen Kameraden mitten in den Vorbereitungen steckt. Der große Zuspruch ist kein Zufall: "Wir haben unsere Kontakte immer gut gepflegt." Das Ansehen der Stadtsoldaten ist groß - und ihre Geschichte bewegt.
Franz Növer und Theo Haybach gründeten das Stadtsoldatencorps 1905 als Nachfolgeverein des seit 1898 bestehenden Herrenelferrates "Narrenzunft Rheinbach". Das Corps machte es sich zur Aufgabe, den Rheinbacher Straßenkarneval zu beleben. Die Idee kam an: Zwei Jahre später hatten die Stadtsoldaten bereits 25 Mitglieder, die sich nicht nur um die tollen Tage in Rheinbach verdient machten. Während ihrer Biwaks sammelten die Stadtsoldaten bei kapitalstarken Bürgern Geld, das dann Kindern armer Familien gespendet wurde.
Kommandant Franz Növer war es, der das Stadtsoldatencorps nach der Zwangspause durch den Ersten Weltkrieg in den 20er Jahren wiederbelebte. Erst 1929 gab Növer die Leitung des Corps an Hans Siebertz ab. Der war der erste, der eine Vereinschronik anlegte, die bis zum heutigen Tag geführt wird. Der Chronik sind der Erhalt vieler Anekdötchen von anno dazumal zu verdanken. Zum Beispiel die, wie sich einmal alle Stadtsoldaten über das Eingemachte, den Sonntagsbraten und alle Getränkevorräte eines bedauernswerten Kameraden hermachten. Oder wie das Corps 1947 - der Verein hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg gerade neu formiert - hölzerne Knüppel statt Holzgewehre trug, weil die vom Kommandanten der in Rheinbach stationierten britischen Truppen verboten worden waren.
Mit den Zeiten änderten sich die Traditionen bei den Stadtsoldaten: 1949 gab es erstmals weibliche Funkenmariechen; zuvor hatten stets Männer diese Rolle übernommen. Und seit 1974 wurde stets eine Frau in den Vorstand gewählt.
Bis 1964 trugen die Stadtsoldaten grün-weiße Uniformen, geschneidert vom gelernten Uniformschneider Johannes Wald. Weil aber die Reinigung der Jacken, gerade nach den tollen Tagen, zu mühselig wurde, entschied man sich Mitte der 60er Jahre für grün-rote Uniformen, nach dem historischen frederizianischen Muster, und für den Dreispitz als Kopfbedeckung. Doch die Stadtsoldaten sind nicht fixiert auf ihre schmucken, doch strengen Uniformen: Auch Schwimmanzüge und preußische Gardeuniformen gehörten im Laufe der Jahre zu ihrer Auftrittsgarderobe.
In den 70er Jahren lüfteten die Männer der Exerziergruppe in einer Session ihre Schottenröcke und damit das Geheimnis, was der Schotte unterm Kilt trägt: Spitzenhöschen nämlich. Die Schottenröcke gingen auf den Einfluss eines britischen Sergeant Majors von der Rheinarmee zurück, der Mitglied bei den Stadtsoldaten wurde.
Die 60er und 70er Jahre waren besonders bewegte in der Vereinsgeschichte. Seit gut 30 Jahren küren die Stadtsoldaten ein Kinderprinzenpaar. Seit der ersten Proklamation 1967/68 legt der Verein großen Wert auf Kinder- und Jugendarbeit. Um die 50 uniformierte Kinder werden seither in jeder Session betreut.
1969 wurde der "Landsturm" gegründet, dessen Mitglieder seitdem in jeder Session kommunale Größen unter die Lupe und auf die Schippe nehmen. Der Landsturm ist inzwischen das Aushängeschild der Stadtsoldaten; für die Karten der jährlichen Sitzung existiert ein regelrechter Schwarzmarkt.
Ein weiteres festes Standbein des Vereins kam 1969 dazu: der Fanfarenzug. Und 1972 bezogen die Stadtsoldaten ihr eigenes Domizil: den Wasemer Turm im Herzen Rheinbachs. In der jüngeren Vergangenheit gehört die Gründung der Kavallerie durch den Kommandanten Willi Hohn zu den wichtigsten Errungenschaften.
Zu ihrem 75-Jährigen beglückten die Stadtsoldaten "ihr" Rheinbach mit einem Fest, wie es die Stadt bis dahin noch nicht gesehen hatte. Zum 100-Jährigen möchte das Corps - das zurzeit 140 Mitglieder zählt - sich noch einmal steigern. Der Kartenvorverkauf für den Rheinischen Abend am 1. Oktober hat begonnen.