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Rheinbacher Landsturmsitzung ist besser als Woodstock

Rheinbacher Landsturmsitzung ist besser als Woodstock

Zwischen Misthaufen und Kamellefabrik gab es auch hier die "wilden Sechziger"

Rheinbach. Ein Voreifelstädtchen im Ausnahmezustand: überall Zäune und Absperrungen. "Die Stadt ös omzingelt wie die JVA!", schimpft Landwirt Tilse Paul, der mit seinem Trecker vor den Umleitungsschildern steht. Kein Einlass ohne Eintrittsgeld.

Das gilt für alle, außer für Kirchgänger und Anwohner. Die haben für eine halbe Stunde freien Eintritt. Wenn sie denn den "Checkpoint Charlie" passiert haben. Das kommt Ihnen irgendwie bekannt vor? Nicht von ungefähr, denn die alljährliche Großveranstaltung in der Rheinbacher Innenstadt, bei der sich alles um Oldtimer und Rock'n'Roll dreht, war Vorbild für die Rahmenhandlung der Landsturm-Sitzung. An drei Abenden hintereinander ließen die Akteure auf der Stadthallenbühne die "wilden Sechziger" lebendig werden, mit Witz, Intelligenz und natürlich jeder Menge Live-Musik und Gesang.

Es war eine schrille Zeitreise in die Vergangenheit mit Isetta-Liebe, Mondlandung, Gast- und Schwarzarbeitern, "Ekel" Alfred Tetzlaff und "Rheinbacher Giganten", augenzwinkernd mit der Gegenwart kombiniert. Bissig wurden die mit großer Spielfreude agierenden Landstürmer dabei nie, auch nicht politisch. Sie wiesen höchstens liebevoll-nachsichtig auf die eine oder andere Empfindlichkeit diverser Persönlichkeiten hin, die - auch das gehört dazu - im Publikum sitzen.

Da sprach Achim Frank als "Gastarbeiter" zum Beispiel die schlimmste Beleidigung aus, die man den Vize-Bürgermeistern Ernst Preutenborbeck und Claus Wehage entgegen schleudern könne: "Du bess ene Immi!" Auch Bernie Schumacher, Frontmann der Band "Tiebreakers", machte gute Miene, als die "Thai-Bräkers" sein geliebtes "Satisfaction" der Rolling Stones in einer äußerst schrägen Version spielten.

Dass Studentenrevolte, sexuelle Befreiung und Flower Power ansonsten doch eher ohne die Rheinbacher stattfanden, hatte die Künstlerin Janni Feuser in ihrem grandiosen Bühnenbild durch einen Kunstgriff dokumentiert: Im dreigeteilten Bild tobte das bunte Leben mit Che Guevara und Keith Richards, freier Liebe und Ufo eher draußen, während in Rheinbach beschauliche Verschlafenheit herrschte, in leicht vergilbten Farben, samt Misthaufen vor Fachwerkhäusern, Kirchturm und Kamellefabrik.

Was John F. Kennedys legendäres "Ich bin ein Berliner" war, hieß bei Heinrich Mostert in Rheinbach "Ich backe Berliner"; die Welt hatte Ringo Starr, Rheinbach hatte Kalenbergs Fritz. Allerdings: Das legendäre Woodstock-Festival konnte das Voreifelstädtchen mit dem ersten Auftritt der "Thai-Bräkers" in der OT überbieten. Die Vorgruppe "The Beatles" mimten Thomas Zimmer, Fred Paral, Jakob Mufleh und Landsturm-Neuling Stephan Bruna, in Kostümen von Melanie Klein und Ulrike Fäte.

Im Saal - die meisten Gäste kamen zum Thema passend kostümiert - ging so richtig die Post ab, als das Quartett auf Platt umgetextete Songs schmetterte, wie "Yesterday kom dä Schmitze Bernd op die Schnapsidee?, "Der Lappen, der is net mie da" (Baby you can drive my car) oder "Et mät Spass em Landsturm drenn ze senn" (Yellow Submarine). Sie ließen vier Jahrzehnte Revue passieren, in denen der Landsturm "alles us em Rheembache Levve jenüsslich opjespieß" hat.

Die Großkopfeten bekamen auch diesmal ihr Fett weg. Bürgermeister Stefan Raetz (Fred Paral) bekam es als Jurastudent im "sexten" Semester im Seminar "Bürgermeister werden leicht gemacht - Schnellkurs in zwei Stunden" mit Sex-Papst Oswald Kolle (Harald Assenmacher) zu tun und bestand die Prüfung. Der Beigeordnete Raffael Knauber (Assenmacher) und seine Frau Petra (Karl-Heinz Jansen) reisten als erste Menschen zum Mond, eine Dienstreise selbstverständlich, für die sie einfach 38 Lichtjahre aufschrieben, "weil der Raetz das sowieso nicht merkt".

Und auch die hass-geliebten Nachbarn, vertreten von Bürgermeister Bert Spilles, lieferten dem Landsturm manche Vorlage. Haben die Meckenheimer wohl auf dem Mond genug Möglichkeiten für christliche Entfaltung, wo es dort doch weder Kirche noch Pastor gibt? Das macht keinen Unterschied: Einen Pastor haben sie in Meckenheim ja jetzt auch nicht.